Fabian

Fabian

Thursday, May 12, 2011

Charakterisierung von Jakob Fabian

Der Titelheld des Romans „Fabian“ von Erich Kästner wird von einem personalen Erzähler in den letzten Wochen seines Lebens in Berlin Anfang der 30er Jahre verfolgt. Der Leser lernt ausschlieβlich Fabians Perspektive kennen in Hinsicht auf seine Weltanschauung, das Groβstadtleben und andere Charaktere. Er ist ein ungewöhnlicher, idealistischer Mensch, der an der Verdorbenheit der Gesellschaft und an einer eigenen Charakterschwäche scheitert. Durch seine Beobachtungen und einen gewissen Kontrast zwischen seiner Persönlichkeit und Berlin, entwirft Kästner ein sachliches Porträt der Groβstadt, das soziale Probleme und deren moralische Konsequenzen thematisiert.
Jakob Fabian ist 32 Jahre alt und nach der Hälfte des Romans arbeitsloser Germanist in der Hauptstadt Deutschlands. Man weiß nichts über sein Aussehen, so wie auch andere Hauptcharaktere und private Schauplätze, wie Fabians Wohnung, nur vage beschrieben werden. Dies trägt dazu bei, dass man sich gut mit allem identifizieren kann, denn Fabian ist trotz seiner Eigenheit keine bestimmte Person, sondern steht repräsentativ für einen jungen Mann in einer durch die zeitgeschichtliche Situation bedingte Lebenskrise, bzw. für einen Typ, wie auch Künstler und Prostituierte in dem Roman mit der die Neue Sachlichkeit kennzeichnenden Verallgemeinerung dargestellt werden. Seit seinem Einsatz im Ersten Weltkrieg ist er herzkrank, was ihn tagtäglich an den „provisorischen Charakter der Epoche“ erinnert, da es so scheint, als ob die Welt jeden Moment wieder in Chaos untergehen könnte und alle Taten bedeutungslos wären (vgl. S. 61 f.).
Intelligent und gebildet interessiert sich Fabian jedoch wenig dafür, seine Fähigkeiten effizient (oder wenigstens so, dass er seine Miete bezahlen könnte) einzusetzen. Vielmehr verbringt er seine Zeit damit, durch die Stadt zu streifen, in Partneragenturen neurotische Bekanntschaften zu machen, mit seinem Freund Labude durch Nachtclubs zu ziehen oder einem obdachlosen Erfinder Unterschlupf in seinem Kleiderschrank zu gewähren. Vor seiner Kündigung schreibt Fabian Werbetexte für eine Zigarettenfirma, wobei ihm die Kapitalgesellschaft und das kommerzielle Unternehmen zutiefst widerstreben (vgl. S. 31). Auf seinen Spaziergängen ordnet Fabian seine Gedanken, lässt sich von Ort zu Ort treiben und trotzt somit jeglicher Eingliederung in die Abläufe eines geregelten Lebens. Dabei sammelt er schnappschussartige Beobachtungen über gesellschaftliche Figuren, die ihm begegnen und den Geist der Zeit verkörpern. Einerseits werden Deutschlands politische Lage und die Nachteile der Massengesellschaft mit den Mitteln der Satire kommentiert; andererseits richtet sich die Warnung des Romans an den Menschen als Individuum. Fabian kann über das, was er sieht, zwar ironisch und scharfsinnig urteilen, und dennoch ist er von einer lähmenden Passivität geprägt. „Worauf wartete er seit Jahren? Vielleicht auf die Erkenntnis, dass er zum Zuschauer bestimmt und geboren war, nicht, wie er heute noch glaubte, zum Akteur im Welttheater?“ (S. 235). Zum eigentlichen Handeln fehlen ihm der Mut und die Freude am Dasein. Er ist das Beispiel dafür, dass Moral auch gelebt statt nur bedacht werden muss.
Der junge Mann lässt sich mit vielen Frauen ein und erlebt das Berliner Nachtleben. Als Erklärung für den Reiz an der Promiskuität sagt er, „Er betrieb die gemischten Gefühle seit langem aus Liebhaberei. Wer sie untersuchen wollte, musste sie haben. Nur während man sie besaß, konnte man sie beobachten. Man war ein Chirurg, der die eigene Seele aufschnitt“ (S. 20). Das ganze Leben scheint für ihn eine wissenschaftliche Studie zu sein, ein Experiment, an dessen Resultat er selbst völlig unbeteiligt ist. Außerdem hat Fabian keine andere Funktion und auch kein langfristiges Ziel. Er lässt sich mitziehen, betäubt sich auf verschiedenste Weisen, notiert seine Bemerkungen und zieht Schlussfolgerungen, die unbenutzt zwischen seinen Gedanken verstauben und niemandem etwas bringen.
Fabian begegnet seinen Mitmenschen mit sehr zynischem Humor. Indem er unkonventionelle Antworten gibt, veralbert er seine Gesprächspartner, denn er scheint sich den meisten überlegen zu fühlen (vgl. S. 12, S. 43). In Wirklichkeit ist es die einzige Methode für ihn, mit der Verrücktheit der Leute umzugehen. Obwohl es ihm nicht schwer fällt, in den richtigen Momenten ernst zu sein, formuliert er seine Gesellschaftskritik am besten mit einem sarkastischen, spöttischen Unterton, weil dahinter eine grundlegende Frustration verborgen ist.
Diese beinahe naive Verzweiflung basiert auf Fabians Wertvorstellung. Er ist ein Moralist, weil er trotz des Irrsinns auf politischem, gesellschaftlichem und persönlichem Niveau an das Gute glaubt. Die anderen Menschen wirken zu oberflächlich und fremdgesteuert auf ihn – geradezu unmoralisch. Fabian glaubt, der Zustand der Gesellschaft sei vorübergehend, sie werde irgendwann wieder zur Vernunft kommen. „Ich bin ein Melancholiker, mir kann nicht viel passieren. […] Ich sehe zu und warte. Ich warte auf den Sieg der Anständigkeit, dann könnte ich mich zur Verfügung stellen“ (S. 100). Fabian meint, mit pessimistischen Erwartungen sei man besser auf das Leben vorbereitet als der Optimist, der sich nur überschätzt haben wird und an seiner Enttäuschung zugrunde geht (vgl. S. 135 f.). Dem Wunsch, Zeuge eines zweiten Alters der Aufklärung zu sein wird von dieser Hoffnungslosigkeit entgegengearbeitet, sodass Fabian verdammt ist, für immer das zu sein, was er ist: ein gleichgültiger Idealist.
Fabian geht in der Masse des Großstadtlebens unter. Er weiß zwar das vielfältige Unterhaltungsangebot zu nutzen, aber es ist ein ständiges Ablenken, eine Flucht vor der Auseinandersetzung mit dem Leben und der Welt, der sich ein Mann seines Alters, arbeitslos und ungebunden, eigentlich stellen sollte. Stattdessen lebt er ziel- und rastlos in den Tag hinein, es herrschen Distanzierung und Orientierungslosigkeit. Er schafft es nicht, im Leben einen Sinn zu entdecken. Er strebt weder nach Geld noch nach Macht (vgl. S. 53), und selbst wenn er sich eine politische Meinung bilden kann, halten Selbstzweifel ihn davon ab, aktiv Stellung zu beziehen, weil er glaubt, alleine nichts verrichten zu können. „Ich kann vieles und will nichts. Wozu soll ich vorwärtskommen? Wofür und wogegen? […] Wo ist das System, in dem ich funktionieren kann? Es ist nicht da, und nichts hat Sinn“ (S. 53). Der Charakter entwickelt sich immer weiter in diese Richtung, bis man als Leser merkt, dass Fabian nicht für diese Welt geschaffen ist. Zu widersprüchlich und unvereinbar ist er, als Moralist, mit der Gesellschaft. Nicht etwa weil ein Individualist dort keinen Platz finden würde (wie Labude ihn fast bekommt, wie Irene Moll ihn findet), sondern weil er nicht bereit ist, sich einen Platz zu suchen und einzunehmen.
Als Fabian alles genommen wird, was ihn noch mit der Welt verband, nämlich Gefühle der Liebe und der Freundschaft für Cornelia und Labude, wird ihm seine eigene Tatenlosigkeit erstmals bewusst. Beim Versuch, einem Kind das Leben zu retten, ertrinkt er im Fluss. Die Konsequenz dieses tragischen Endes besteht darin, dass Fabian immer an sich selbst zerbricht. Ein Individualist lässt sich vom Strom der Gesellschaft mitreißen und geht buchstäblich unter. Die Metapher lässt sich erstens als eine Form der Resignation deuten, weil es für Fabian als Moralisten einfach keinen Platz gab. Zweitens aber ist es ein Appell an den Leser, im eigenen Leben das Gute in die Tat umzusetzen.

No comments:

Post a Comment

Note: Only a member of this blog may post a comment.